Heute ging es wieder auf ein Neues los, nur dass ich nicht wirklich Lust hatte, einen weiteren Tag als Cartonero zu verbringen. „Wenn ich jetzt nur wie gewohnt nach Hause fahren könnte, das wäre etwas“, dachte ich vor mir her. Dennoch besitze ich einen eisernen Willen, wenn ich mir etwas vorgenommen habe. Und mit Chucky ist eben ausgemacht, dass ich ihn eine Woche begleiten werde. Und was ich versprochen habe, das halte ich auch ein.
Am Anfang verspürte ich noch eine große Neugierde, wollte ein kleines Abenteuer erleben, aber vor allem neue Eindrücke und Erfahrungen sammeln. Aber nun stellte sich so langsam die Routine ein, bereits nach zwei Tagen. Dieser Art der Arbeit ist einfach nur hässlich.
Desto mehr freute ich mich, als mir ein freudiges, auf schlechtes Englisch gesprochenes „Hallo, how are you“ vom Laster entgegenkamen und ich einigen Jugendlichen die Hand schütteln musste. Mit den Zurufen „ey, aleman“ winkte mir Mario, ein Jugendlicher den ich vom cine taller (Kinoworkshop) kenne, vom Hinteren Teil des Lasters zu. Spätestens jetzt kennt mich der ganze Laster, dachte ich mir nur und suchte wieder die Nähe zu Chucky.
Dieser saß aber auf den hohen Seitenwänden des Lasters, weswegen ich beschloss mich zu ihm zu gesellen. Bei den eigentlichen Cartoneros sieht das immer ziemlich lässig und einfach aus, wie sie da oben auf den Seitenwänden des Lasters herumbaumeln; allerdings machen sie das ja auch fünf Tage in der Woche. Ich hingegen verkrampfte mich total und klammerte mich an das kühle Eisengestell fest und versuchte möglichst nicht herunterzufallen. Und das war dann auch das einzige was ich die ganze Fahrt über getan habe. Als wir endlich ankamen, tat mir mein Hintern ziemlich weh. Wie die eigentlichen Cartoneros das machen, wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben.
Meine Theorie von gestern hat sich als wahr herausgestellt. Heute mussten wir ebenfalls große Wege zurücklegen, um überhaupt nicht durchsuchte Müllbeutel zu finden. Außerdem gibt es ja noch viele andere Cartoneros. Am Ende gingen wir wieder zu der Stammstraße von Chucky, wo wir darauf warteten bis die Leute nach und nach ihre Müllbeutel herausstellten. Endlich konnten wir unseren viertel vollen Beutel bis obenhin mit Verwertbaren füllen. Als wir dann zurück zum Lastwagen fuhren, war ich mehr als glücklich, wieder einen Tag als Cartonero überstanden zu haben.
Was ich heute sehr überraschend fand, dass uns ein Polizist zu einer Farmacia (Apotheke) geführt hat, von der wir daraufhin eine größere Menge an Karton erhalten haben. Das liegt daran, da im Januar des Jahres 2003 das Ley 992 (Gesetz 992) verabschiedet wurde. Die wichtigsten Punkte dieses Gesetzes sind folgende:
- Den Cartoneros ist es erlaubt recycelbares Material in den Straßen zu sammeln
- Es darf kleine und mittelgroße Firmen geben, die mit dieser Aktivität zusammenarbeiten
- Die Cartoneros dürfen sich in Gruppierungen vereinen
Dank dieses Gesetzes haben die Cartonero nun mehr Rechte und letztes Jahr fand sogar der „1 º Congreso Nacional de Cartoneros“ (der erste nationale Kongress der Cartoneros) in Mar del Plata statt, wo verschiedene Vorträge und Workshops rund um das Thema Cartonero angeboten wurden.
Aber den Cartonero ist es auch möglich sich offiziell in Gruppierung, wie der „Movimiento Nacional de Trabajadores Cartoneros y Recicladores „ (nationalen Bewegung von Cartoneros und Recyclern) zu vereinigen. Somit können sie für mehr Rechte kämpfen.
Allerdings ist erst seit der großen Wirtschaftskrise im Jahr 2001 eine derart hohe Quantitäten von Cartoneros in Buenos Aires aufgetreten, so dass die Straßen von diesen überschwemmt wurden. Bereits am Ende des Jahres reichte man als Reaktion den Gesetzesentwurf für das Ley 992 ein.
Heute arbeiten, laut einer UNICEF Argentina Studie aus dem Jahr 2005, 8.762 cartoneros in den Straßen von Buenos Aires. Etwa 39% davon sollen Einwanderer sein und fast die Hälfte der Müllsammler sind Kinder und Jugendliche. Die wirkliche Zahl schätze ich aber weit aus größer ein.
Unseren ganzen Respekt!!