Diesmal kann ich leider keine Fotos zeigen. Dennoch möchte ich einige Informationen teilen, welche die soziale Realität des Villa Fiorito näher bringen. Villa Fiorito ist sozusagen ein Ghetto, „wie es im Buche steht“: Kaputte Straßen, kleine marode Häuser, überall Müll, Unmengen an Straßenhunde, Kriminalität, Drogen, große Arbeitslosigkeit und die daraus folgende Armut.
Alkohol
Letzte Woche ist bei uns im Projekt ein Junge verschwunden, weswegen die örtliche Polizei ins Projekt kam und nach ihm suchte. Nachdem er das ganze Wochenende über verschwunden war, ist er am Dienstag wieder bei seiner Oma aufgetaucht. Er ist von seiner anderen Oma geflohen, da sie, wie sich später herausstellte, ein Problem mit Alkohol hat. Am kommenden Montag wird das Gericht entscheiden, wo der Jung in Zukunft wohnen wird.
Mir wurde erzählt, dass es oft in den Familien Problemen mit Alkohol und Gewalt gibt. Bis jetzt ist mir aber nur dieser eine Fall bekannt.
Sexualität
Jeden Dienstag gibt es im Projekt eine Gesprächsrunde für die Kids aus casa de joven mit einer Psychologin, bei der vor allem über das Thema Sexualität geredet wird. Hierbei kommen manchmal sehr gute Gespräche zustande. Manchmal aber eben auch nicht und die Kids machen nur Scheiße und können sich nicht konzentrieren.
Letzen Dienstag sprachen wir zum Beispiel über eine Sache, die ich nicht begreifen konnte. Ich bin mir aber sicher, dass ich da nicht der einzige bin: Denn die Tatsache, dass fast alle meiner Kids, die zwischen 15 und 18 Jahre alt sind, regelmäßig in die puteria (Puff) gehen und sich dort für 25 Peso (circa 7€) für eine halbe Stunde vergnügen, war für mich doch etwas überraschend.
In einen Gespräch mit der Psychologin stellt sich heraus, dass dieses Verhalten in Villas, wie Fiorito, ganz normal sei. Hier sparen die Jungs ihr Geld und gehen dann gemeinsam in die puteria um das erste Mal Sex zu haben. Und für einen Macho gehört sich das ja auch, oft Sex zu haben.
Cartoneros
Als Cartoneros werden die Leute bezeichnet, die im Capital (= Innenstadt von Buenos Aires) jede Nacht den Müll nach Papier, Glas und Dosen durchwühlen. Für Dosen bekommt man am meisten Geld. Ein Kilo Papier kann zum Beispiel für 0,70 Peso, was etwa 0,19 € entspricht, verkauft werden. Somit verdienen zwei Personen, die gemeinsam sammeln, pro Woche etwa 100 – 150 Peso (26 € – 40 €).
Um in das Capital zu kommen, fahren die Cartoneros mit Sonderzügen, falls es sie gibt. Da es in Fiorito aber keine Zuganbindung an das Capital gibt, fahren die cartoneros immer mit einem großen Lastwagen in die Stadt. Jeden Tag um fünf Uhr fährt beispielsweise immer ein großer Lastwagen an Che Pibe vorbei, der wie ein Taxi, die Cartoneros des Villas einsammelt. Eines Tages, als ich vom Projekt heimkam, sah ich diesen uralten Laster an der Straße vorbeifahren: Er war total groß, mit hohen Seitenwänden und einen großen Anhänger. Auf dem Laster waren circa dreißig Cartoneros und jede Menge kleine Wagen, auf denen sie die „Kostbarkeiten“ aufladen. Die Leute standen weit über der Straße, an den Seitenwänden des LKW und blickten mir ernster Miene in die Ferne.
Für mich war es ein Schock, dass auch einige meiner Kids auf diesen Laster waren: Im Projekt sind die Kids so fröhlich, lachen, malen und spielen Fußball. Deswegen konnte ich es mir nicht vorstellen, dass sie im Müll wühlen müssen, um sich ernähren zu können.
Meine Naivität wurde eines bessern belehrt.