Mein Einsatzort
Seitdem ich im März wieder von meiner Reise wiedergekommen bin, arbeite ich immer jeweils am Montag und am Freitag im casa de los niños des Projektes Che Pibe. Hier sind die Kinder zwischen 6 und 13 Jahre alt und in drei verschiedene Gruppen unterteilt:
- Primer nivel (die erste Gruppe): 6, 7 und 8 Jahre
- Secundo nivel (die zweite Gruppe): 9 und 10 Jahre
- Tercer nivel (die dritte Gruppe): 11, 12 und 13 Jahre
Zurzeit arbeite ich ausschließlich in der ersten Gruppe. Um 9.00 Uhr früh beginne ich meine Arbeit im turno mañana (Vormittagsgruppe), der bis 12.00 Uhr dauert. Danach gibt es immer zwischen 12.00 und 13.00 Uhr eine Besprechung der Erzieher. Anschließend findet der turno tarde (Nachmittagsgruppe) zwischen 13.00 bis 16.00 Uhr statt.
Meine Arbeit
Jeden Morgen wenn ich in der Arbeit eintreffe, frühstücken wir erst einmal mit den Kindern. Danach geht es immer in den Saal des primier nivel. Hier habe ich die Gelegenheit ein kleines Spielchen mit den Kindern zu spielen, damit sie sich ein bisschen austoben und sich somit später besser konzentrieren können. Ich spiele vor allem viele Kreisspiele mit den Kindern, da bei dieser Art des Spieles jeder teilnehmen muss und sich nicht verstecken kann. Bei den Kindern wird dies meist als willkommene Abwechslung angesehen und manchmal fordern sie mich regelrecht dazu auf ein Spielchen mit ihnen zu machen.
Aber auch die Betreuerin der Gruppe fragt mich immer vor der Stunde, ob ich eine Aktivität für die Kinder vorbereitet habe. Denn mittlerweile bin ich schon als vollwertiger profe (profesor – Lehrer) bei den Kindern und bei den anderen Betreuern anerkannt. Ich habe dieselben Rechte und sehe mich auf einer Ebene mit den anderen Sozialarbeitern. Diese Gleichberechtigung habe ich nicht zuletzt der eher linken politischen Ausrichtung des Projektes zu verdanken.
In den verfügbaren drei Stunden gebe ich außerdem noch kleinere Workshops für die Kindern. Zum Beispiel habe ich erst neulich artes plasticas (Basteln) mit ihnen gemacht. Hierbei durfte jedes Kind eine von mir vorgefertigte Schablone auf Tonpapier aufzeichnen und ausschneiden. Auf den verschiedenen Formen schrieb jeder seinen Namen und seinen Geburtstag und wir machten eine kleine Geburtstagswand. Durch diese kleine Aktivität wollte ich bewirken, dass sich die Kinder ihren eigenen Geburtstag besser merken können. Denn manche kennen diesen gar nicht auswendig.
Eine andere Aktivität war, dass ich mit dem Kinder über ihr Wochenende gesprochen habe. Jeder in der Gruppe musste eine kleine Geschichte vor den Anderen vortragen. Am Ende musste jeder sein schönstes Erlebnis des Wochenendes mit Buntstiften zeichnen. Natürlich zeichneten 90% der Jungen einen Fußballplatz.
Anschließend helfen die Betreuerin und ich den Kindern ihre Hausaufgaben anzufertigen. Hierbei kann ich besonders bei Mathematik weiterhelfen. Aber mittlerweile kenne ich mich mit Spanisch so gut aus, dass ich auch in lengua (Spanisch) eine große Hilfe darstelle. Hier befasse ich mich vor allem mit den Kindern, die ein großes Wissensdefizit aufweisen. Alle Kinder haben ihr eigenes Lernheft im Projekt und wir machen jede Stunde eine kleine Aktivität: zum Beispiel Buchstaben üben, Wörter oder Sätze schreiben, Rechnungen ausführen oder kleine Zeichnungen erstellen. Vielen leseschwachen Kindern helfe ich vor allem beim Schreiben und beim Lesen. Für diese Einzelbetreuung hätte die Betreuerin gar keine Zeit. Ich hingegen kann genau diese Form der Förderung mit den Kindern praktizieren. Zum Abschluss des Tages gehen wir bei schönem Wetter auf dem Fußballplatz. Dort spielen wir verschiedene Ballspiele, vor allem aber Fußball und Volleyball. Es wird Seil gehüpft, fangen gespielt, gesprungen und kleinere Spielchen gespielt. Hier können die Kleinen ihre ganze Energie loswerden, damit sie ausgeglichener sind.
Diese Woche wurde mir eine große Verantwortung zu Teile gemacht. Da der Profesor Javier des premier nivel turno manana (erste Gruppe am Vormittag) nicht da ist, wurde ich für eine Woche als ein richtiger profesor eingeteilt. Dass heißt, ich bin nun jeden Tag von 9.00 bis 12.00 mit ungefähr acht Kindern alleine und muss diese drei Stunden beschäftigen. Für mich bedeutet das eine sehr große Verantwortung und Verpflichtung. Aber gerade dadurch steigt auch meine Motivation ungemein an. Irgendwie ist es ein unbeschreiblich schönes Gefühl nach acht Monaten im Stande zu sein, eine eigene Gruppe selbst zu führen.
Kinder, Lachen, Spaß, Geschreie und kleine Probleme
Für mich gehören all diese Sachen zusammen. Denn meine Kinder im Projekt können einen nicht nur Unmenge an Freude bereiten, sondern auch manchmal Kopfzerbrechen über ihr merkwürdiges Verhalten.
Die meisten Kinder sind aber wirklich sehr freundlich und sie lieben mich über alles. Es ist ein unbeschreiblich schönes Gefühl, wenn ich im Projekt ankomme und schon drei Kinder auf mich zugestürmt kommen und ganz laut „Patriiiik“ rufen und mich ganz fest umarmen. Viele wollen dann, dass ich sie hochnehme, Huckepack mit ihnen mache, ihnen die Hand gebe oder sie umarme. Fast alle sind wirklich sehr liebenswürdig.
Auch werde ich von ihnen „profe“ (profesor – Lehrer) genannt. Für mich ist das eine sehr große Anerkennung, dass ich von den Kindern die gleiche Achtung bekomme, die sie alle anderen Betreuer auch entgegenbringen. Dies hat zur Folge, dass ich als Respektsperson angesehen werde und die Kinder besser auf mich hören. Manchmal wundere ich mich selbst, wie gut ich dich Kleinen im Griff habe.
Aber natürlich gibt es auch einige sehr schwierige Fälle. Denn die Kinder kommen meistens aus zerrüttelten und sehr armen Familienverhältnissen.
Einer meiner Kinder, Ezequiel, lebt zum Beispiel mit seinem Vater und seinem zwei kleineren Brüdern zusammen in Fiorito. Die Eltern sind getrennt und das Sorgerecht hat nicht, wie im argentinischen Gesetz verankert, die Frau, sondern vielmehr der Mann. Denn die Frau ist Alkoholikerin, lebt in Constitución (ein Bahnhof) und es ist die Rede von Drogen und Prostitution. Bei dieser Vergangenheit ist es nicht verwunderlich, dass der Kleine schwere seelische Probleme hat. Manchmal spielt er „Power Ranger“ und will sich mit den anderen Jungs prügeln. In solchen Situationen helfen Worte nichts mehr und er ist nicht mehr aufzuhalten.
Ich habe allerdings auch schon große Erfolge mit ihm gehabt. Wenn er der einzige Junge in der Gruppe ist, dann zeichnet und bastelt er konzentriert und aufmerksam. Auch übe ich oft Schreiben und Lesen mit ihm, da sein Niveau sehr niedrig ist.
Ein anderer Junge ist Christian. Dieser hat ein starkes Liebesbedürfnis und klebt immer förmlich an mir oder will ständig Huckepack machen.
Einmal als ich seine Bitte, dass ich ihm auf die Schultern nehme, verneinte, wurde er richtig böse und fing mich an mit seinen Turnbeutel und seiner Jacke zu schlagen. Ich nahm ihm diese Sachen ab, worauf er zwei große Steine aufhob und diese drohend in die Luft hob. Das einzige was er wollte, war Aufmerksamkeit erwecken. Als ich das erkannte und mich von ihm abwand, kamen auch schon die beiden großen Steine geflogen. Später als wir ins Klassenzimmer zurückkehren wollte, warf er sich auf dem Boden, schrie ganz laut, tritt und spuckte um sich und wollte sich nicht um einen Zentimeter von der Stelle bewegen. Nicht einmal die anderen Betreuer konnten zu ihm durchdringen. Mit dem Jungen konnte man einfach nicht mehr reden.
Ich kann mir nicht vorstellen, was in diesen Jungen vor sich geht. Aber auch seine Schwester erweckt einen schwierigen Eindruck: sie ist total schüchtern und bringt nicht ein Wort heraus. Beide kommen meist immer mit derselben, sehr dreckigen Kleidung in das Projekt. Die Haare sind zerzaust und verfilzt und das Gesicht dreckig. Beide können so gut wie gar nicht Lesen und Schreiben.
Desto mehr hat es mich gefreut, dass ich nach diesem Vorfall mit Christian, in der nächsten Stunde mit ihm die Zahlen üben konnte und er wieder ganz normal war. Auch mit seiner Schwester übe ich jede Stunde intensiv die Buchstaben.
Im Gossen und Ganzen…
… bin ich mehr als glücklich mit meiner Arbeit im casa de nino. Auch wenn ich manchmal an Grenzen stoße, bei denen ich nicht weiß wie ich mich verhalten soll. Am liebsten würde ich in solchen Momenten genau wissen, wie ich mich zu verhalten habe, oder was ich zu den Kindern sagen muss.
Für mich ist immer der schönste Moment nach der Arbeit: ich bin noch im Speisesaal und trinke einen heißen Tee mit den anderen Betreuer. Der Raum wird von einer unbeschreiblich schönen Stille erfüllt und ich sage mir, dass ich heute wieder etwas Kleines bewegen konnte. Ein unbeschreibliches Gefühl